Biofeedback mit passiver Infrarot-Methode (pIR) und einige Bemerkungen zu ADHS

1. Biofeedback mit passiver Infrarot-Messung

Während das Neurofeedback zur Regulierung der neuronalen Aktivitäten eingesetzt wird, erfasst die passive Infrarot-Messung pIR eine physiologische Grösse, nämlich den Blutdurchfluss im Frontalhirn. Erhöhte neuronale Aktivitäten gehen mit einem erhöhten Metabolismus einher, der seinerseits eine erhöhte Sauerstoff- und Glucoseversorgung bedingt: der Blutdurchfluss nimmt zu. In den betreffenden Hirnbereichen wird ein Temperaturanstieg beobachtet, der mit in einem Stirnband eingebauten Infrarot-Sensoren gemessen wird (Abb.1)

Abb. 1: Stirnband mit drei integrierten passiven IR-Sensoren (pIR)

Ganz analog wie beim Neurofeedback nach Othmer, ist das Hirn in eine Feedbackschlaufe eingebunden. Allerdings ist die Steuerung beim Neurofeedback um einiges komplizierter als beim pIR:

Blutfluss im Frontalhirn à pIR-Sensoren à Verstärkung der Signale à Verarbeitung nach bestimmten Algorithmen (Schwellenwerte) à Steuerung visueller, auditiver, taktiler Stimuli à Wahrnehmung à Blutfluss im Frontalhirn à und so fort (Abb. 2)

Abb. 2: Im Stirnband sind drei IR-Sensoren eingebaut, welche die metabolisch bedingten Temperaturänderungen beim linken (Fp1), mittleren (Fpz) und rechten (Fp2) Frontalhirn erfassen.

Wie beim Neurofeedback wird auch beim pIR mit Inhibits gearbeitet, individuell für jeden Kanal. Die Therapeutin, der Coach entscheidet aufgrund des Kurvenverlaufs, zu wie viel Prozent die einzelnen Kanäle mit Inhibits belastet werden sollen bzw. wie viel toleriert wird. Wie beim Neurofeedback dauern die Trainings etwa eine halbe Stunde. Da mit dem pIR die Konzentration, die Anstrengung gefördert werden soll, sind als visuelles Feedback besonders Filme geeignet, die konzentriertes Denken erfordern.

Abb. 3: Trend der Temperatur des linken, mittleren und rechten Frontalhirns (oben). Das Feedback kann individuell für die drei Kanäle eingestellt werden.

2. Anwendungen der pIR

Das pIR hat sich bei folgenden Anwendungen bewährt:

  • Verbesserung der kognitiven Funktionen wie Aufmerksamkeit, Konzentration sowie organisatorische und planerische Fähigkeiten
  • Verbesserung der exekutiven Funktionen wie Impulskontrolle, Intention, emotionale Regulierung, Verhaltenssteuerung sowie Fähigkeiten im sozialen Umgang
  • Verbesserung der Stressresistenz und der Fähigkeiten zur Stressbewältigung
  • Behandlung von ADS/ADHS, autistischen Störungen, Dislexie und Migräne

3. Einige Auffälligkeiten bei ADHS

Da wir in unserer Praxis viele Jugendliche und Erwachse mit diagnostiziertem Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) behandeln, gehört das pIR neben der Neurofeedback-Methode nach Othmer (Die Neurofeedback-Methode nach Othmer) zum festen therapeutischen Bestandteil. Es sind schätzungsweise gegen 5% der Bevölkerung davon betroffen – Kinder, Jugendliche und Erwachsene (!), weshalb  kurz erläutert werden soll, mit welchen neurologischen, Verhaltens- und emotionalen Problemen ADHS-Betroffene zu kämpfen haben.

Im Fokus dieser Diskussion stehen derzeit folgende Merkmale:

Da viele ADHS-Betroffene Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) zeigen (Depressionen, Sucht, Beziehungsstörungen, Angststörungen, Tics, etc.), ist eine Gewichtung zwischen ADHS und weiteren Erkrankungen nicht immer einfach, weshalb in unserer Praxis i.a. nicht mit einem pIR-Training begonnen wird, sondern mit einem ILF-Training nach der Neurofeedback-Methode nach Othmer mit dem Ziel, das Arousal zu optimieren und die Fähigkeit zur Selbstregulation der neuronalen Aktivitäten zu verbessern. Weshalb sich die Neurofeedback-Methode nach Othmer gerade bei multimorbiden Patienten (die Regel bei ADHS) hervorragend eignet, wird unter Die Neurofeedback-Methode nach Othmer im Abschnitt „Weshalb Therapien mit Neurofeedback begleiten?“ thematisiert.

4. Stärken der Personen mit einem ADHS

Wegen der zuweilen defizitbetonten Beurteilung der ADHS, möchten wir an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Menschen mit ADHS sowohl Defizite als auch besondere Stärken aufweisen. Je nach Perspektive und Aufgabe, werden  vermeintliche Defizite zu Stärken. Es sollen in der folgenden Tabelle etwas plakativ einige Defizite und Stärken einander gegenübergestellt werden:

 

Als Defizite konnotiert bei ADHS

Auch als Stärken aufzufassen

Aufmerksamkeit nach aussen

Defizit bei auf Aufgaben gerichteter Aufmerksamkeit. Schaltet auf innen gerichtete Aufmerksamkeit bei Langeweile, Ermüdung oder Druck

Offene Aufmerksamkeit, sieht und hört einfach alles, geistig wacher Zustand. Bei motivierenden Aufgaben teils höchst fokussiert

Aufmerksamkeit nach innen

Tagträumen steht den zu erledigenden Aufgaben im Wege

Tagträumen als Quelle der Kreativität

Aktivität

Hyperaktivität, vor allem ein Problem bei sitzenden Tätigkeiten

Tätigkeiten mit viel Bewegung (in früheren Jahrhunderten primär). Wenn schnelles Handeln erforderlich (Notfall, Feuerwehr, etc.)

Lernen

Lernen nach Vorschrift, nach vorgegebenen Mustern schwierig

Lernen durch Imitation (Handwerker) und bei konkretem Nutzen

Engagement

Nicht selbst gewählte und uninteressante Aufgaben werden aufgeschoben (Pro-krastination) oder überhaupt nicht in Angriff genommen

Begeisterungsfähigkeit, Spezialinteressen, Flow, Ausdauer bei selbstge-wählten Aufgaben

Kontrolle

Impulsivität und riskantes Handeln als Folge fehlender Selbstkontrolle

Spontaneität und Reiz von neuen Herausforderungen

Ehrlichkeit

Naiv, verletzend, direkt

vertrauenswürdig, kongruent

Der Psychologe Fabian Grolimund hat in einem Vortrag die vielen positiven Seiten von Menschen mit ADHS beleuchtet:


5. Neuro- und Physiologie des ADHS

Aus der Perspektive der Neuromodulatorsysteme ist ein Über- oder Unterangebot von Botenstoffe in gewissen Hirnregionen für die ADHS verantwortlich, insbesondere von Dopamin und Norepinephrin. Betrachtet man den Glucosehaushalt, so stellt man ein Unterangebot im Frontalhirn fest. Wird hingegen der Fokus auf die Aktivität von Hirnarealen und Kreisschemata gelegt, so zeigt sich, dass bei einem ADHS das Belohnungssystem betroffen ist. Und um die Brücke zum Hirn als Rhythmusorgan und somit zu den Frequenzbändern zu schlagen, werden im Frontalhirn je nach ADHS-Typ veränderte Amplituden gewisser Frequenzbänder gemessen (erhöhtes Theta, zu tiefes Beta oder zu hohes Alpha). Wie unter Die Neurofeedback-Methode nach Othmer nachzulesen ist, liegt jedoch bei der Othmer-Methode der primäre Fokus auf einer Optimierung des Arousals im ILF-Bereich. Gelingt es damit die Fluktuationen der Aktivitäten des neuronalen Netzwerkes in eine Balance zu bringen, erübrigt sich oft ein anschliessendes Training mit der pIR-Methode.