„Neurokultur“, ein Neologismus? In den vergangenen Jahren sind Neuroästhetik-Institute entstanden, welche die Verbindung von Neurologie und Kunst untersuchen. Als Neuroästhetik wird ein Forschungsprogramm bezeichnet, dessen Ziel es ist, die neurobiologischen Grundlagen ästhetischer Empfindungen, etwa bei der Rezeption von Kunst oder Musik, sowie der kreativen Prozesse beim Erschaffen solcher Werke zu erforschen.
In unserem „Haus der Paradiesvögel“ unterhielten meine Frau Liselotte und ich bis 2018 eine Praxis für Ergotherapie und Neurofeedback. Grundlage für das Neurofeedback sind die Neurowissenschaften und – psychologie. Mit verschiedenen Therapiedesigns versuchten wir, selbstorganisierende neuronale Aktivitäten des Hirns einer Klientin, eines Klienten zu unterstützen und in eine Balance zu bringen. Was damit genauer gemeint ist, wird in der Seminararbeit erläutert. Gelingt dies, werden in einem Lernporzess dank neuronaler Plastizität Verbindungen im Netzwerk nachweislich neu gebahnt (fMRI), verbunden mit z.T. erstaunlichen Veränderungen im emotionalen, kognitiven und Verhaltensbereich. Und nach wie vor führen wir kulturelle Veranstaltungen durch, d.h. sowohl die Neurowissenschaften als auch die Ästhetik waren und sind uns stets ein Anliegen, ohne sich jedoch (bisher) um die Zusammenhänge dieser beiden Gebiete zu kümmern.
Interessant ist nun, dass während eines kulturellen Anlasses je nach Art und Qualität der Darbietung sowohl beim Akteur als auch bei der Zuschauerin oder beim Zuhörer ganz ähnliche Vorgänge und Aktivitätsmuster hervorgerufen werden wie in einem Neurofeedback-Prozess, sofern sich zwischen Akteur und Rezipient eine Resonanz einstellt. Ein sensibler Akteur wird die Stimmung im Plenum aufnehmen, die ihn seinerseits in einem Feedbackprozess animiert und seine kulturelle Darbietung moduliert. Im Zustand entspannter Aufmerksamkeit befindet sich die neuronale Dynamik des Hirns in einem sogenannten selbstorganisierten kritikalen Zustand mit breiter Skaleninvarianz und mit besonders aktivem Default Mode- und Salient-Netzwerk (Seminararbeit). Weist unser neuronales Netzwerk die Flexibilität auf auch im Alltagsgeschehen immer wieder diesen Flow-Zustand einzunehmen, geht uns vieles leichter von der Hand.
Allerdings haben wir es meist nicht mit lebendigen Akteuren und Rezipienten wie bei einer Darbietung zu tun, sondern mit Objekten, wie z. B. bei einer Ausstellung oder wenn wir uns in der bebauten und unbebauten Umgebung bewegen. Dann haben wir keinen Einfluss auf die Stimuli. Nichts desto trotz, auch ohne den oben beschriebenen Feedbackprozess wird das Reizspektrum kurz-, mittel- oder langfristig unsere Befindlichkeit oder gar unsere Gesundheit beeinflussen. Wie dieses Reizspektrum beschaffen sein könnte oder müsste, damit sich vermehrt eine entspannte Aufmerksamkeit einstellen kann, wird Thema einer längeren Abhandlung über die bebaute Umwelt sein, die später an dieser Stelle zu finden sein wird.